Marshall The Guv’nor (Mk I)

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Batz Benzer
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Marshall The Guv’nor (Mk I)

Beitrag von Batz Benzer » Donnerstag 30. Oktober 2014, 12:14

Ein heiliger Gral der Gitarrenverzerrrung, entsprechend mystifiziert, verklärt und wie der Stein der Weisen verehrt, ist der Guv’nor von Marshall – nicht identisch mit der aktuellen Mk II-Version -, welcher 1988 das Licht der Welt erblicke und (wohl) bis Anfang der 90er produziert wurde.

Das Pedal ist amtlichst verarbeitet, steckt in einem sehr robusten Metallgehäuse, hat nach hinten versetzte und somit gut geschützte Qualitäts-Potis, die eine stattliche klangliche Beeinflussung in Sachen Gain, Bass, Mitten, Höhen sowie Level zulassen; ein besonderes Schmankerl des Guv’nors ist der Einschleifweg, dem mit Hilfe einer Stereo-Klinkenbuchse beliebige Fremdgeräte zugemischt werden können; so ließe sich z.B. ein Verzerrer oder Booster in die Loop nehmen, die jedes Mal mit dem Guwanöhr aktiviert wird, ohne dass es gleich zu einem Stepptanz kommt.

Der On/Off-Switch ist mit weichem Schaltvorgang gesegnet und aktiviert diese Verzerrerlegende, nach denen sich viele Gitarristen die Finger lecken, und das nicht erst seitdem bekannt wurde, dass er u.a. von Gary Moore eingesetzt wird, bzw. wurde (was weiß ich, hab Gary länger nicht drauf angesprochen). Der Nimbus eines extrem guten wie flexiblen Pedals haftet dem Guv’nor an; mal schauen, inwiefern dies berechtigt ist.

Der Treter beginnt brav ohne Verzerrung und könnte somit auch als Booster Verwendung finden, zumal die Klangreglung immens weit greift und profunde Soundunterschiede hervorrufen kann (könnte deswegen, weil die Reserven dann doch nur marginal höher als clean sind, das Klangbild stark verändert wird und es nur mit der Strat klappt; anders gesagt: Es gibt bessere Booster). Dabei tönt es jedoch immer nach „Marshall der späten 80er Jahre“ und fühlt sich auch so an: Ich hab das Gefühl, in die Vergangenheit versetzt worden zu sein! Insofern stimmt es also, der Guv’nor ist „instant Marshall in a box“… wenn man denn an diese Epoche der Firmengeschichte denkt, denn Marshall hat mittlerweile viele typische Tonkulturen produziert, die zwar Gemeinsamkeiten haben, aber letztlich nicht vergleichbar sind; Plexi-, JCM800-, JCM900- und JTM-Amps sprechen beispielsweise jeweils eine sehr eigene Sprache.

Hier ist es eben der gute alte Ton der 800er, der wieder auflebt: Eine „grobkörnige“, „dreckige“ Verzerrung, die irgendwo zwischen Overdrive und Distortion geparkt ist. Sie blendet sich nicht sanft und subtil ein, mit einem Ruck geht das Kratzen los. Erst die Spieltechnik formt aus diesem Grundangebot dann – je nach Kultur, versteht sich – ein dynamisches Klangereignis, der Guv’nor beschönigt nichts und deckt Patzer wie Stillosigkeit gnadenlos auf. Dabei ist das Nebengeräuschverhalten vorbildlich.

Mein subjektiver Eindruck ist: Es gibt heutzutage schlicht bessere Zerrpedale! Seinerzeit war es neben der Ratte wohl DAS Pedal der Wahl, der Mythos scheint mir aber durch die Unerreichbarkeit dieses Sammlerstücks denn durch klangliche Qualitäten gewachsen zu sein. Was nicht heißen soll, dass Marshalls Kistchen schlecht ist, nur bedient es z.B. die Freunde des druckvollen, fokussierten Tons der 90er ebenso wenig wie die Anhänger eines modernen NuRock- oder har Metal-Tons. Der Guv’nor ist eben kein neutraler Erfüllungssklave, sondern hat seinen eigenen Kopf, und der ist eben sehr markant, durchsetzungsfähig und ortbar. Und auch wenn z.B. der Mitten-Regler erlaubt, die Bässe Metallica-like auszudünnen, so glättet sich der Zerrcharakter dadurch ebenso wenig wie das Sustain trägt: Es darf, ja muss sogar gearbeitet werden, sonst klingt’s scheiße! Oder anders gesagt: Er passt nicht zu jedem, ohne gute Tonformung kommt auch nix übermäßig Beeindruckendes aus dem Kistchen raus.

Für mich "fühlt" sich das Pedal für mich einfach falsch an. Es ist der typische Fall von "auf You Tube klang das aber gut". Ja, das tat es, aber wie es sich anfühlt, das kann das Portal eben nicht vermitteln. Obertöne liegen nicht mehr dort, wo ich sie erwarte, und der Bassbereich ist entweder so dominant, dass er die natürlichen Höhenanteile "frisst" oder unterbelichtet wirkt. Es erinnert mich an den Turbo Overdrive von Boss, der fühlt sich genau so an.

Der Mosfet-Amp 3210, der ja aus derselben Zeit stammt, fühlt sich hingegen, bei ähnlichem Ton, ganz anders an und ist für mich formbar, ganz im Gegensatz zum Guwanöör.

Fazit: Eine Fachkraft für einen DER Marshall-Sounds schlechthin; Gain reicht bis Distortion, „brettert“ aber weniger zugunsten eines Charaktertons als man es von Verzerrern dieses Typs gewohnt ist. Wall of Sound ist eben nicht, dafür rockt es 80s-Style! Für eine konventionelle B/M/H-Klangreglung ist jene des Guv’nors sehr weitreichend.

PS: Wer auf den Einschleifweg verzichten kann, findet im Marshall Drive Master einen nahezu identischen Ton für kleineres Geld.

Gruß,

Batz. :smoke01:
"Lennon was the soul of the Beatles, Harrison was the spirit, Paul was the heart, and Ringo was the drummer."

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SilviaGold

Re: Marshall The Guv’nor (Mk I)

Beitrag von SilviaGold » Donnerstag 30. Oktober 2014, 14:01

Danke für the ausführliche review :thumbsup03: Ich finde viele gute Infos und Einschätzungen!

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tommy
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Re: Marshall The Guv’nor (Mk I)

Beitrag von tommy » Donnerstag 30. Oktober 2014, 14:40

...ein sehr treffend formuliertes Review, danke!

Meine Erfahrungen sind übrigens deckungsgleich. Irgendwie trägt der Guv'nor das Gitarrensignal nicht gut. Man muss unheimlich um jeden Ton kämpfen, dann klingt er amtlich. Für mich war das nichts, ich habe bei dem ganzen "Kampf" immer den musikalischen Flow verloren.
LG, Tommy


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Batz Benzer
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Re: Marshall The Guv’nor (Mk I)

Beitrag von Batz Benzer » Donnerstag 30. Oktober 2014, 14:41

Danke für Dein Feedback, tommy: Du beschreibst das in nur zwei Sätzen perfekt!

Gruß,

Batz. :smoke01:
"Lennon was the soul of the Beatles, Harrison was the spirit, Paul was the heart, and Ringo was the drummer."

- George Martin

Paul67
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Re: Marshall The Guv’nor (Mk I)

Beitrag von Paul67 » Samstag 1. November 2014, 18:31

Ich habe drei der neuen Zerrer von Marshall. ich finde sie kommen nicht an ältere Modelle heran. Aber von den dreien gefällt mir der Bluesbreaker II am besten. Wer auf einkanalige Amps steht, etwas zum "draufsetzen" braucht ,möge ihn mal testen. Aktuell nutze ich den Jackhammer vor einem Fender Mustang ganz gerne.

Ferdi

Re: Marshall The Guv’nor (Mk I)

Beitrag von Ferdi » Montag 3. November 2014, 20:33

Batz Benzer hat geschrieben: Es ist der typische Fall von "auf You Tube klang das aber gut". Ja, das tat es, aber wie es sich anfühlt, das kann das Portal eben nicht vermitteln.
:popcorn: :thumbsup03:

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