Marshall JCM1H - der kleine 800er

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Batz Benzer
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Marshall JCM1H - der kleine 800er

Beitrag von Batz Benzer » Sonntag 22. Februar 2015, 13:22

Für die Vollständigkeit hier nochmal mein ca. zwei Jahre alter Bericht bezüglich des Marshall JCM1H in einer meiner bisherigen Erfahrung angepassten Version:

Wer von Euch meine Beiträge hier ein wenig verfolgt hat, wird wissen, dass mich eine große Affinität mit dem Hause Marshall verbindet; heute wird sich herausstellen, ob die Familie Zuwachs erhält: Ein JCM1H klopft an die Tür, seines Zeichens dritter Spross der 50th Anniversary-Ampline und stellvertretend für den Sound der 80er.

Bild

Niedlich isser, der Kleene: Ein Mini-Röhren-Topteil mit einem Watt Leistung, welches erst einmal Beschützerinstinkte weckt; wächst der noch, muss man den gar täglich gießen...? Und so schön leicht... aber tippitoppi verarbeitet, inklusive schön schwergängiger Potis für Gain, Master, Bässe, Mitten und Höhen; der Gain Boost-Druckschalter sowie der On/Off-Schalter runden die Regelmöglichkeiten frontseitig ab. Rückseitig gesellt sich noch der Umschalter für den 0,1 Watt-Betrieb hinzu – das war's.

Mit diesen Regelmöglichkeiten ist der JCM1 seinem 60er-Jahre Bruder, dem JTM1C, in Sachen Flexibilität um Meilen voraus: Lässt sich das Klangbild des JTM nicht wirklich verändern, lediglich im Höhengehalt leicht angleichen, erlaubt die Klangregelung des JCM einschneidende Veränderungen. Dabei ist der Mittenregler Dreh- und Angelpunkt; genau so, wie man es von den Briketts der 80er bereits gewohnt ist; der Högenregler greift ebenso sehr beherzt ins Klanggeschehen ein, der Bass-Regler ist eher subtil im Wirkungsagrad. Alle drei Potis beeinflussen sich gegenseitig.

Und damit sind wir ja bereits mit einem Bein ins Klanggeschehen; ziehen wir das zweite Bein nach: Clean ist er... unspektakulär. Sehr ausgeglichen, neutral und glatt. Nicht schlecht, aber es schmatzt z.B. nicht so charaktervoll in den unteren Mitten wie es der JTM1 vermag. Man merkt eben, dass wir am unteren Rande des Gain-Spektrums sind, für den dieser Amp designed wurde; der JCM klingt hier etwas zurückhaltend und bringt wenig Eigen-Markanz.

Wer sich ein wenig mit den originalen Vorbildern auskennt, weiß, dass diese sich sehr ähnlich verhalten; auch der JCM1 gönnt sich kein profundes Bassfundament. Nicht falsch verstehen, Bässe sind schon da, aber eben kein Tiefbassgewummer, und sie definieren das Klangbild nicht so mit wie Plexis dies tun; erneut möchte ich das Wort „neutral“ bemühen. Dieser mittige „Nöck!“-Druck des Originals stellt sich auf E6 und A5 auch bei der Mini-Ausführung ein, das Klangbild ist also im Rahmen der technsiche Möglichkeiten authentisch.

Dit Janze geht clean mit der Strat maximal bis zur 9h-Stellung und ist somit alles andere als Drummer-kompatibel; jenseits dessen beginnt die eigentliche Domäne dieses Türstoppers: Die Zerrfarben!

Und da lebt er auf, der Zwerg: Von subtilem bis deutlichem Crunch über Overdrive bis zur Brett-Distortion zeigt er gerne, was er drauf hat. Aber auch hier herrscht tatsächlich das klassisch-aggressive JCM-Klangbild vor (der Ton bildet eher einen „Strahl“ als eine „süßliche Klangsuppe“, wie es Plexis tun), wenngleich nicht ganz so brutal, dafür aber genau so schön federnd wie beim Vorbild; es wird wohl auch niemand so vermessen sein, von einem 1Watt-Amp denselben gnadenlosen Punch zu erwarten wie von einem 50- oder gar 100-Watt-Boliden.

Der Ton will von kundigen Fingern geformt sein; Schönfärben liegt ihm ohne Zuschalten des Boosts nicht so recht. Was bedeutet, dass der JCM1 eine feine Dynamik beibehält, die auch jederzeit durch das Gitarren-Volumen regelbar bleibt. Und dabei ist ihm die Art der Gitarre – Strat oder Paula – egal: Er kann mit beiden gleichmaßen gut, ohne Gleichmacher zu sein; die Paula entwickelt Druck und Sustain, die Strat bleibt immer treblig und klingelig. Ein Pluspunkt, den der m.E. tendentiell stratverliebte JTM nicht einheimsen konnte, der sich aber auch ins Minus wandeln kann, wenn man sich denn von der Strat fetten Punch eines Humbucker-Bretts wünscht. So ist er mir z.B. ausschließlich Paula-Verstärker, die Strat spielt lieber mit dem JTM1C. ;)

Es geht also von SRV und Hendrix (9.30h-11h) über Classic Rock und AC/DC (12h) bis hin zu klassischem Hardrock bis 80er Metal (15h+). Und das alles ohne den Boost, welcher laut Presse aus dem 800er einen Jubilee-Ton zaubern soll: Nee, Freunde, da passiert meines Erachtens was anderes; das Klangbild rückt zusammen, wird kompakter, sustainreicher und obertonfreudiger, aber auch ein wenig leiser - was man natürlich schnell per Master kompensieren kann – sowie etwas undynamischer (logisch) und „glatter“.

Mit dem Jubilee, den ich ja ebenfalls hier stehen habe, hat das eher herzlich wenig zu tun; dieser knuspert und cruncht immer extrem markant in den Höhen und erreicht erst mit Aufreißen der Endstufe cremig-sustainige Gefilde. Laut Manual ist auch eher das Gain-Aufkommen der zweikanaligen 800er gemeint, aber auch diese Charakteristik – sehr „luftige“ Verzerrung – findet sich hier nicht, ganz im Gegenteil: Das sind tendentiell viel eher die Stärken der späteren Marshalls, namentlich der DSL- und JVM-Serien, denen unser Probant geboostet frönt.

Aber zurück zum JCM1: Hier haben wir ja den kleinen, niedlichen Leistungsumschalter noch gar nicht bemüht. Warum auch: Ist doch'n Master-Volumen-Amp, den kann ich doch bereits vorne drosseln. Ja, aber: Wer mehr Fülle und Fundament, vor allem in Bass und den tieferen Mitten, wünscht, kann dies durch das Hinzubitten der Endstufenverzerrung per Master stufenlos nach Gusto bewirken; der Switch macht also auch hier durchaus Sinn!

Bei all dem bleibt er stets transparent, tendentiell obertonfreundlich (ohne ein totaler Pinch Harmonics-Überflieger zu sein) und neigt zu keinem Zeitpunkt zum Bass-Mulm; hier habe ich die Combo-Version desselben Amps ganz anders in Erinnerung, bei der mir das Gain ab der Hälfte keinen Spaß mehr gemacht hat, weil die E6 farty klang und sich verschluckte.

Mit Pedalen versteht er sich recht gut, ganz besonders mag er, ganz wie der große Bruder, den Tube Screamer, der das Brikett in HiGain-Gefilde katapultiert und dem Ton noch mehr Fokuis gibt.

Die Nebengeräusche fallen übrigens eher dezent aus; ich würde den Amp sogar leise nennen wollen: Selbst bei Vollauslastung ist er leiser als z.B. ein durchschnittlicher Fender Supersonic im Clean-Betrieb.

Ich halte fest: Der dritte 50th Anniversary im Bunde hat es faustdick hinter den Ohren; hier gibt es in der Tat den berühmt-berüchtigten Marshall-Trademark-Sound der 80er bis hin „zum Besten von Heute“ auf die Ohren. Die Anpassbarkeit dieses Gliedes in der Klangkette auf das eigene Equipment, den eigenen Geschmack sowie den Anwendungsbereich ist vorbildlich; wer im weitesten Sinne rocken möchte, kommt hier voll auf seine Kosten.

Nein, das ist weder Spielzeug noch Gimmick. Auch kein Zahnarztamp: Das hier ist ein sehr gut durchdachtes Klangwerkzeug, welches sich hinter seinen großen Brüder nicht verstecken braucht, zumal er manch Unzulänglichkeiten derselben (Lautstärke, mangelnde Flexibilität) umschifft. Ein perfekter Recording- wie Bedroom-Amp, der auch live taugt, so man sich über die PA hören kann und cleane Klänge nicht gebraucht werden.

Fazit: Der bleibt. Punkt. Ein toller Verstärker, den ich übrigens über die Marshall 2061CX 2x12“ betreibe, mit der er sich hervorragend versteht. Und wenn man sich die Qualitäten genau betrachtet, ist er die ca. aufgerufenen 650€ auch wert, wenngleich der erste, objektive Eindruck, der sich an technischen Werten orientiert, da vermeintlich widersprechen mag.

Er hat nur einen Nachteil: Er macht extrem neugierig auf den JMP1, der ja jetzt noch in der Sammlung fehlt...

Lieben Gruß,

Batz. :smoke01:

PS: Einen ganz herzlichen Dank an den extrem netten Vorbesitzer: Nicht immer machen Kauf- und Tauschgeschäfte so viel Spaß wie in diesem Fall mit Dir, Dän! :cool:
"Lennon was the soul of the Beatles, Harrison was the spirit, Paul was the heart, and Ringo was the drummer."

- George Martin

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Re: Marshall JCM1H - der kleine 800er

Beitrag von setneck » Sonntag 22. Februar 2015, 20:18

Auch einen haben will! :mimimimi:
Schöne Jrööss,
Thomas

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Re: Marshall JCM1H - der kleine 800er

Beitrag von Wizard » Montag 23. Februar 2015, 00:16

Mann Mann und sowas les ich um Mitternacht und bin plötzlich viel weniger müde. Eigentlich gar nicht mehr.
Hab gestern noch gedacht, wenn so ein 1W Teil kaufe, dann gerne in Richtung JCM 800, den ich in den 80ern ausschließlich spielte.

Thanx für das tolle :sabber: Review, mad Micky Marshall. JCM1H - DAS ist mein 1W Favorit. 1W? :boing01: :undwech:
Gruß Peter

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Batz Benzer
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Re: Marshall JCM1H - der kleine 800er

Beitrag von Batz Benzer » Freitag 27. Februar 2015, 10:43

Hier gibt es gerade wieder einen: http://www.ebay.de/itm/Marshall-JCM-1-5 ... 3aa37eaf01

Viel Glück,

Batz. :smoke01:
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