Das unterbewertete Model

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bluesation
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Das unterbewertete Model

Beitrag von bluesation » Mittwoch 25. Februar 2015, 10:55

Jaja, Model mit einem el. Es handelt sich dabei um eine Lady im süssen Alter von 29 Jahren, die ich vor 28 Jahren adoptiert habe. Genauer gesagt handelt es sich um eine Charvel Model 3. Wer sie nicht kennt, es ist eine typische 80er Jahre Gitarre mit grobem Strat Body, HSS, schlankem Flitzefinger Hals mit spitzer Kopfplatte, Trem mit Saitenklemmer, 1 Vol und Tone, 5 Wege Schalter.

Das Model 3 wurde mehrere Jahre angeboten, mit verschiedenen Änderungen über die Zeit. Meine ist ein Modell aus dem ersten Modelljahr 86, also mit Pickguard und Kahler Fulcrum. Später wurden das Pickguard weggelassen und die Trems geändert. Gebaut wurde diese Serie in Japan. (Mehr zu den Specs hier http://www.charvelusa.com/charvel_model_series.html).

Die Lady ist komplett schwarz. Ich hasse schwarze Gitarren, es gibt keine schlechtere Farbe. Warum dann die Adoption? Nun, dieses Modell traf damals den Zeitgeist, war erschwinglich und von bestechender Qualität. Sodass sie überall ausverkauft waren, so sie geliefert wurden. Ich habe dann alle Läden in meiner Region systematisch abgeklappert. Bei Session in Waldorf bin ich dann fündig geworden. Die Einzige im Haus war eben diese konkrete Gitarre. Also konnte ich sie ja schlecht ungekauft zurücklassen.

Model 3 war ca. 12 -15 Jahre meine Nummer 1, sie hat mehr Übungseinheiten, Proben und Auftritte über sich ergehen lassen müssen, als jede andere Gitarre hier im Haus bluesation.

Die letzten Jahre fristet sie ein Schattendasein bei mir. Die letzten Monate stand sie nur auf ihrem Platz und wurde nur zum Entstauben bewegt. Alle paar Monate spiele ich sie mal wieder, aber die Freude lässt dann schnell wieder nach. Mein Geschmack hat sich geändert, wahrscheinlich habe ich mich auch satt gehört.

Die Tage habe ich sie zu Recordingzwecken mal wieder von ihrem Sockel genommen. Sie tönte prima. Dabei ist mir erstmals die Güte richtig bewusst geworden. Es geht mir bei meiner Betrachtung gar nicht um Klang, sondern nur um die Gitarre im Hinblick auf Materialien und Verarbeitungsqualität.

Body:
Grobe Stratform, aus Linde. Etwas dicker als der meiner seit 1983 im Besitz befindlichen Squier JV Strat. Die Kanten weniger abgerundet, die Shapings weniger stark ausgearbeitet. Obwohl viel mehr in Benutzung, hat der Body viel weniger Blessuren als die JV. Dabei kann man davon ausgehen, dass beide in gleicher Weise pfleglich bzw. unpfleglich behandelt wurden.

Hals:
Ähnliches gilt für den Hals. Kaum Dings und Dongs am Halsrücken, wo die JV viele Kratzer, Kerben und Dongs aufweist. Es sind auch immer noch die ersten Bünde drauf. Außer bei den ersten beiden Bünden bei der G und hauchfein bei der H-Saite, winzige Kerben, sonst nix.
Der Hals ist optimal gekrümmt, da musste ich noch nie etwas nachregeln. Die Saitenlage ist gut, wobei ich keine Briefmarken Einstellung spiele, aber da schnarrt nix. Im Vergleich dazu habe ich hier eine "Handcrafted in Czech Republic", Jahrgang 1998, Neupreis ca 2400 Euro. Bei der muss ich jeweils zum Wechsel Sommer/Winter den Hals nachjustieren. Obwohl wenig gespielt, sind die Bünde ungleich abgespielt, in manchen Bünden schnarrt es. Ich musste schon die Saitenlage hochdrehen, um diesen Mangel auszugleichen, was ja eigentlich keine Lösung ist.

Hardware:
Wie bereits gesagt schwarz. Aber da ist nirgends Farbe abgeblättert, oder Patina, oder Abrieb. Vielleicht nicht mehr ganz so kräftig das schwarz. Im Gegensatz dazu die Handrcrafted mit güldener Schaller Hardware (ich hasse güldene Hardware, gab's aber nur so). Patina, Bläschen, Abrieb. Alle Schraubenköpfe intakt, keine Gewinde defekt, nicht an den Klemmern nicht am Trem. Feinstimmer arbeiten immer noch präzise. Wenn keine klimatischen Änderungen eingreifen, lange stimmstabil. Was ich von der Handcrafted nicht behaupten kann.

Trem:
Ich weiß, für viele ist das Fulcrum ein NoGo, wurde dann ja auch schnell ersetzt im folgenden Modelljahr. Ich finde es super. Erst mal es ist relativ flach, an 2 Schrauben freischwingend aufgehängt. Man kann extrem nach unten (bis zur totalen Entspannung der Saiten) aber auch problemlos nach oben tremolieren. Die einzelnen Saitenreiter lassen sich gut einstellen, keine Schraube steht vor oder über. Der Handballen läßt sich gut ablegen. Wenn ich da an meine JV oder Tele mit Vintage Bridge denke. Ein Saitenwechsel ist schnell und ohne verknotete Finger möglich, denn der/die/das Kahler ist ein Toploader.
Der TremHebel ist extrem tief in den Block einzuschrauben. Da sitzt auch nach all den Jahren alles noch bombenfest. Gut, ich bin jetzt auch kein EVH. Der Hebel selbst ist dick und schwer, da würden andere Treppengeländer draus machen. Dagegen ist der Tremhebel der JV mit dem kurzen Gewinde eher Spielzeug.

Pots:
Die Pots lauf immer noch leicht und gleichmäßig. Auch nach monatelanger Nichtbenutzung keine Nebengeräusche. Ich habe hier eine Gitarre mit den 16 mm Alpha Pots. Die laufen schwergängig und nach 5 Tagen Nichtbenutzung kratzen die. Nach ein paar Mal hin und her drehen ist das dann weg, das braucht es bei der Charvel nicht.

Schalter:
Immer noch der erste. Obwohl in einem Plastikgehäuse, tut er noch immer präzise und ohne Schaltgeräusche seinen Dienst. Leider ist er nicht ganz so geschmeidig wie ein Fender. Ich bin da empfindlich, habe ich doch schon mal aus einer anderen Gitarre einen Schaller Megaswitch rausgeworfen, weil mir der zu hakelig war.

Buchse:
Hält den Klinke immer noch fest und sicher, keine Wackler.

Konklusion:
Zum Thema unterbewertet. Ich habe mal eine ganze lange Zeit bei Ebay Ausschau nach dem Model 3 gehalten. I.d.R. wurden da nur spätere Modelle angeboten, vereinzelt aber auch die 86er Modelle. Da ist nie ein über 260 Tacken weggegangen, was rein nominal etwa dem halben Neupreis entspricht, 30 Jahre Kaufkraftunterschied mal nicht berücksichtigt.

Obwohl sie mehr rumsteht, werde ich sie nicht verkaufen. Wie würde Bernie Marsden sagen: "It is an essential part of my career", will heißen, der ideelle Wert verbietet den Verkauf einfach.
Gruß Tom

Ugorr

Re: Das unterbewertete Model

Beitrag von Ugorr » Mittwoch 25. Februar 2015, 11:56

Moin.
Ich bin zwar gerade gar nicht in Schreiblaune, aber wenn eine Nr3 in der Bude auftaucht, muss ich mich äussern.
Die Charvel Nr3 war meine erste, eigene, brauchbare Gitarre. Ich habe sie geschenkt bekommen und lange gespielt. Meine ist "Spermwhite" mit schwarzem Schlagbrett. Der Humbucker fehlte, wurde durch einen ebenfalls geschenkten Humbucker aus einer Epiphonepaula getauscht. Ich habe mich irgendwann von dem flachen Hals wegbewegt und was anderes musste ins Haus. Die Charvel war aber immer mit und stand mindestens irgendwo in Greifnähe.
Ich habe sie während des Studiums an meinen Bandkollegen verkauft, aber ich kriege sie wieder, da die Band schon lange nicht mehr existiert und der Kollege nur noch Akustik spielt.
Also auch bei mir: Bald wieder mit einer ollen Nr3 im Haus.
Gruß
Ugorr

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