Hallo Rainer,
wenn ein Kunde kommt und will eine bestimmte Gitarre ("ich will eine John Cruz Strat in 3TS oder schwarz") kaufen, dann will er die kaufen und keine Beratung. Und natürlich bekommt er die Gitarre, gerne, ohne irgendwelche Versuche, seine Entscheidung zu beeinflussen; entscheidend ist, wie du geschrieben hast, dass der Kunde zufrieden, d.h. mit der Erfüllung seines Wunsches, aus der Tür geht.
Allerdings kommen wenig Kunden mit einer so genauen Vorstellung (wer eine bestimmte Gitarre will, bestellt diese per Webshop). Meistens wollen sie "eine Strat" oder einfach die ultimative Fendergitarre für sich. Und da kommt besagte Beratertätigkeit ins Spiel, von den 20 Strats die zu finden, die passt (oder, wenn der Kunde das will, auch mal eine Tele anzubieten, wenn man das Gefühl nicht loswird, dass eine Tele besser passen würde...diese weitgefasste Beratung muss der Kunde aber explizit wollen...deshalb ist viel Interaktion nötig, um so viel Info wie möglich für die Entscheidungshilfe zu bekommen). Und natürlich muss diese Gitarre ALLE Kriterien erfüllen, d.h. wenn z.B. die Farbe nicht gefällt, ist sie nicht die Richtige.
Die Geschichte, Gitarristen darauf aufmerksam zu machen. dass sie eine für sie nicht unbedingt hundertprozentig förderliche Gitarrenart spielen, und dass das der Grund ihrer Unzufriedenheit ist hat im Verkauf natürlich nichts zu suchen. Das sind Dinge, die bei mir sehr häufig bei Schülern auftreten, die "irgendwie unzufrieden" mit ihrem Sound sind, aber nicht wissen warum...und PUs wechseln und Saitenmarken und Vorstufenröhren und was weiß ich noch alles. Und da kann ich dann durchaus breiter beraten, wenn es gewollt ist.
Ein typisches Beispiel: Ein Schüler kaufte eine sehr gute Telecaster eines deutschen Gitarrenbauers, weil er gelesen hatte, dass diese eine supergute Dynamik hat (was sie hatte). Dummerweise war er einer dieser Gitarristen, die die Tonformung hauptsächlich mit der Greifhand und nicht mit der Anschlagshand bewerkstelligen (das ist nichts Negatives, das machen viele so...). Durch ihre extreme Dynamikrange reagierte die Gitarre auf jede Nuance seines halt nicht gezielt eingesetzten Anschlags und sabotierte ihn total. Eine leicht komprimierende LPJ war die viel bessere Wahl...und der Schüler machte auf einmal Fortschritte, weil er endlich den Sound hatte, den er wollte.
Deshalb: Eigentlich gute spezifische Eigenschaften müssen nicht bei jedem gute Auswirkungen haben, sondern können auch bremsen.
So eine sagen wir mal "glaubenserschütternde" Beratung muss man aber auch wollen und dazu bereit sein. Und wie du richtig schriebst Rainer: Da gibt es viele, die das überhaupt nicht lustig finden, wenn du ihnen das sagst. Und mein Bedürfnis, da jemanden zu seinem Glück zu zwingen hält sich in allerengsten Grenzen
Deshalb: Zuerst kommt der Wille des Schülers/Kunden. Erst wenn er wirklich eine Beratung will und ich die Grenzen dieser Beratung kenne, kommt oben Geschirebenes zum Tragen.
Primär gilt: Jeder was er will.