Mintage hat geschrieben: ↑Montag 17. Februar 2020, 16:56
Was treibt Ihr so, wenn Ihr Euch auf das Griffbrett konzentriert?
Hallo Rainer,
Vielen Dank für die Frage, die ich sehr spannend finde. Ich gehöre ja eher zu den Lesern, da mich die meisten Themen zwar interessieren, ich aber nicht wirklich was dazu beizutragen habe. Klingt lustig, ist aber so. Warum? Meine Ohren lieben Teles, Strats und Paulas - selbst habe ich keine. Meine Gitarren, die ich spiele, interessieren hier kaum jemanden, wenn überhaupt. Mich interessieren Amps und Effekte (und ich habe auch einiges) - aber spiele seit Jahren nur noch Kemper. Daheim. Im Proberaum. Live. Zudem interessiert mich die Technik, in der Tiefe, wie sie hier sehr oft spannend diskutiert wird, nicht. Oder: noch nicht so sehr. Ich bin reiner Anwender. Für das, was ich mache und machen will, habe ich alles. Gitarren. Kemper. Hard- und Software für den iMac.
(wer nun abkürzen möchte, kann zum letzten Absatz runterscrollen - danke)
Thema Griffbrett - mit Rückblende: Ich habe mich schon früher, als ich mit 12 oder 13 mit klassischer Gitarre (als Quasi-Sprungbrett zur E-Gitarre) angefangen habe, nicht gross um Techniken rund ums Solieren beschäftigt. Damals war die Motivation ganz einfach die Songs meiner Helden (Tipton/Downing, George Lynch, David Gilmour, Randy Rhoads, Vito Bratta, Tony Iommi, Criss Oliva) spielen zu können. Und um die Songs zu spielen, wollte ich die Riffs lernen - die für mich mehr hergaben und hergeben als alle Varianten des Tappings, Sweep Pickings und die verrücktesten Skalen in Hochgeschwindigkeit hoch- und runterzunudeln. Ja, ich hörte meinen 'Helden' gerne zu und hatte (und habe) auch Freude an den Soli, aber ich hatte nie den Drang diese zu lernen. Natürlich gab es eine Phase, da wollte ich mir das eine oder andere draufschaffen. Bücher gekauft. VHS-Kassetten mit Lernvideos gekauft. Stundenlang im Jugendzimmer geübt. Aber der Spass hielt nicht lange an. Und irgendwie fehlte wohl neben der nötigen Ausdauer, auch ein wenig das Talent - was aber nicht weiter schlimm ist. Zudem konnte ich solche 'Kunststückchen' in der Coverband, in der ich damals spielte, auch nicht wirklich gebrauchen.
Auch wenn die obige Aufzählung den Eindruck erwecken lässt, dass ich immer nur Rock- und Metalsachen spiel(t)e, ist dem nicht so. Im klassischen Unterricht fanden beispielsweise auch mal Ausflüge in Richtung Flamenco statt. Da haben wir öfters mal das Buch von Juan Martin hervorgeholt, um Abwechslung von den ganzen Sors, Carcassis, Carullis, Tarregas und Villo-Lobos zu schaffen. Das hat super Spass gemacht. Auch haben wir ein Buch von Fred Harz durchgearbeitet. War nicht so mein Ding, zu dem Zeitpunkt. Schätzen gelernt habe ich es erst viel später. Und so ging es weiter. Nachdem ich mit 19 die klassischen Stunden ad acta gelegt hatte, habe ich mich in den folgenden Jahren primär nur mit dem Spielen in der Coverband beschäftigt. Ich habe mir viel rausgehört, ab und zu ein Songbuch mit Noten und Tabulaturen gekauft - und so gelernt. Teilweise etwas umständlich und unkonventionell war die Umsetzung, aber auch das ging ganz gut. Da ich in der Band derjenige war, der am Instrument am weitesten fortgeschritten war (Klassikstunden sei Dank), tat ich mir stets sehr leicht und musste nie gross üben. Das, was wir gespielt haben, war jetzt auch nicht gerade herausfordernd (Die Ärzte, Bon Jovi, Bryan Adams, Eddie Cochran, Green Day etc.) - und das war auch die Zeit als ich spielerisch ein wenig stehengeblieben bin. Ich meine, von den 10 Jahren Covern...da habe ich sicherlich mindestens die letzten 5 Jahre nicht richtig geübt. Zwar habe ich viele verschiedene Pop- und Rocksongs gelernt, ist ja auch was, aber an der Technik habe ich nicht gefeilt. Ganz bewusst an meinen Fähigkeiten gefeilt, das habe ich nicht.
Von 2003 bis 2009 haben wir dann eigene Songs geschrieben - und da wurde ich auch wieder aktiver, da ich kreativ sein durfte (zusammen mit meinem besten Kumpel - der war Drummer in der Band, spielt aber auch Keyboards, spielt Bass und singt - schrieb für sich auch stets Songs). Mit dem Schreiben eigener Songs habe ich viel ausprobiert. Tunings, Sounds, Akkorde etc. Und die Covers von Muse, Madrugada, Placebo etc., die wir damals dann noch gespielt haben, waren aus inspirierend. Ab 2006/2007 kam bei mir nochmals ein Schub. Ein guter Freund fragte mich nach dem wöchentlichen Tennisspiel, weshalb ich denn nie die Musik spielen würde, wegen welcher ich angefangen habe Gitarre zu spielen. Ein sogenannter 'Schlüsselmoment'. Da das Vorhaben mit der damaligen Band nicht umsetzbar war, ging ich fortan mit offenen Ohren und Augen durch die Welt, in der Hoffnung, es liess sich jemand für ein Projekt finden. Wohlgemerkt, ich wohne praktisch auf dem Land. Das hat sich dann 2008 per Zufall ergeben. Die richtigen Leute haben sich gefunden und die Suche nach einem Proberaum ging los. 2009 kamen wir aus den Startlöchern.
Zu Anfang haben wir uns ein Repertoire à la 'welche Songs wollten wir denn schon immer mal spielen' zusammengestellt. Da kam alles Mögliche daher und wir spielten quasi einfach drauflos. Die Aufgaben waren verteilt und mir fiel der Job des Leadgitarristen zu. Das heisst, ich musste mich auf einmal auch mit den Soli gewisser Songs auseinandersetzen, die sich ausserhalb meiner spielerischen Komfortzone befanden. Schliesslich wollte man ja irgendwie 'abliefern' und das Ganze anständig zum klingen bringen. Üben war angesagt und ich habe mir zusätzlich ein paar Stunden genommen, um gewisse Sachen auszumerzen und mich zu verbessern. Im Laufe der Zeit kristallisierte sich heraus, dass mein bester Kumpel (in der bisherigen Band, die sich zwischenzeitlich aufgelöst hat, der Drummer - bei 'dark side of me' Sänger/Bassist) und ich für die musikalische Marschrichtung und das Songwriting zuständig waren. Es entwickelte sich so langsam der musikalische Stil der Band - mit zwei Gitarren, Bass, Gesang, Keys und Drums. Musik mit Einflüssen von frühen HIM, (neueren) Amorphis, Paradise Lost (zu 'Host'- und 'One second'-Zeiten) kam dabei heraus. Moll-lastig, melancholisch, rockig, dramatisch, mit einem gesunden Schuss Härte. Während der Aufnahme zur ersten Scheibe 'Ignition Spark' verliessen uns die Keyboarderin sowie der zweite Gitarrist aus Gründen der Weiterbildung, von beruflichen Veränderungen sowie dem Engagement in einer zweiten Band. Zack: da waren wir nur noch zu dritt.
Ich wollte schon früher immer mal im Trio spielen, mein Kumpel war da stets ein wenig skeptisch. Nun ergab es die Situation und wir haben einfach den Versuch gestartet. Alle eigenen Songs, die wir haben (per heute um die 30), sind ja stets schon fixfertig im Homestudio recorded, bevor sie in die Probe gebracht werden. So konnte ich ganz einfach Samples/Clicktracks (der Keys/Synthesizer) erstellen - und das klappte schon in der ersten Probe hervorragend. Wir hatten anfangs Bedenken, wie es ohne zweite Gitarre ist. Nun, es klang besser als gedacht. Wir alle mussten mehr 'arbeiten'. Der Basser setzte neu auch einen Overdrive ein und ich machte mir ebenfalls mehr Gedanken über die Art und Weise der gitarrenmässigen Umsetzung der Songs...
...und deshalb sieht es bei mir seit ca. 4 - 5 Jahren so aus und sollte die ursprüngliche Frage aus meiner Sicht beantworten:
Ich spiele ausschliesslich 7saitige Gitarren (eine Mayones Regius Custom und eine umgebaute Framus Camarillo Custom, die Story kennen einige von hier), seit Dezember 19 auch eine 8saitige (Mayones Regius Custom) und verwende einen Kemper. Die Gitarren haben übrigens nichts mit New oder Modern Metal zu tun, sondern es geht um die Erweiterung von Möglichkeiten und das 'Erforschen' von Klängen. Primär arbeite ich an meinem Rhythmusspiel, spiele mit Akkorden, suche Melodien, und versuche vor allem Sounds und 'Atmosphäre' zu kreieren. Dafür brauche ich flexibles Werkzeug wie die vorgenannten Gitarren und den Kemper. Mein Solospiel ist nicht virtuos, sondern hauptsächlich auf Melodien ausgerichtet. Deshalb versuche ich über bestehende Akkorde in einem Song Melodien zu finden, Soli zu erarbeiten, mit dem Blick auch auf Spannung und Dynamik. Ansonsten sehe ich auch das Songschreiben mit der Gitarre als Üben an. Versuche dann das umzusetzen, was ich als Idee im Kopf habe.
Ja, und das mache ich, wenn ich heute die Gitarre in die Hände nehme. Und ich bin zufriedener denn je.
Liebe Grüsse, Marco
When I'm sad, I just sing. And then I realize that my voice is far worse than my problems.